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# „Mensch und Architektur“

Einladung

Rückseite

Die Formatierungen der Laudatios werden derzeit überarbeitet. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Laudatio

Laudatio 10. Dezember 2015

 -Nissis Kunstkantine-

 Ausstellung

 mit Werken von Bernd Harms

 

Liebe Freunde der Kunstkantine,

das Warten hat ein Ende, ich bin für euch da,

und darf euch jetzt begrüßen, zu der Vernissage für die Werke von

 

Bernd Harms

 

Es ist die 19. Vernissage, die Nissis Kunstkantine veranstaltet, seit ihrer Eröffnung im März 2013. Mein Name ist Bernd Roloff, ich bin der Keynotespeaker der Kunstkantine. Wie gut das ich hier bin. Ich sags wie es ist, ich hätte euch sonst vermißt. Schön, dass ihr heute den Weg in die Kunstkantine gefunden habt. Zwischen der letzten Vernissage und dieser hier, ist so Einiges passiert, an Unfassbarem, wovon die Olympia Absage von Hamburg noch das Harmloseste ist. Heute machen wir deswegen „Cocooning“. Der englische Begriff „Cocooning“ bezeichnet das „sich in einen Kokon Einspinnen“. Er wurde zuerst in den achtziger Jahren von der britischen Trendforscherin Faith Popcorn verwendet und bezeichnet die Reaktion des Zurückziehens aus einer unübersichtlichen und als bedrohlich empfundenen Welt. Die Welt als unübersichtlich und bedrohlich zu empfinden, dafür gibt es derzeit genügend Anlässe und Ursachen.  

Ich spreche also heute nicht über Bataclan, San Bernadino oder Donald Trump. Heute machen wir Cocooning, d. h. ich bleibe in meiner Laudatio schöngeistig und es gibt nur harmlose Abschweifungen zum Beispiel in die Welt der Baumärkte oder der Ornithologie. Die Kunstkantine, das Bernsteinzimmer der HafenCity, bleibt heute Enklave des Schönen, des entspannten Gesprächs und der entspannenden Getränke.

 

Entspannung ist das Stichwort, um nicht zu sagen Muße. 

 

Nehmt euch bitte die Zeit, jedes Kunstwerk in Ruhe auf euch wirken zu lassen. Mit der Smartphone Aufmerksamkeitsspanne wird das hier nichts mit der entspannten um nicht zu sagen müßigen Rezeption des Gezeigten.

 

Bei Bernd Harms gibt es so einiges zu erfassen, was Geometrie, Proportionen, Dimensionen Licht, Perspektive und einige vielleicht flüchtige Details angeht.

 

Mir ist eine Studie zur Kenntnis gelangt, die mich eine solche Anregung aussprechen lässt. Es wird sich zu wenig Zeit genommen, Kunst zu betrachten. Ich schließe mich da gar nicht von aus, besonders in Museen.

 

Nach einer Studie der Universität Friedrichshafen, durchgeführt an 500 Museumsbesuchern, hat sich ergeben, dass sich die Besucher von Museen eindeutig zu wenig Zeit nehmen, um die ausgestellten Werke zu betrachten.

 

Nach dieser Studie nahm sich der durchschnittliche Besucher durchschnittlich gerade mal 11 Sekunden Zeit, ein Werk von immerhin musealem Rang zu betrachten.

 

Sie haben richtig gehört, meine Damen und Herren. Nicht 11 Minuten. 11 Minuten heißt der Schweinkramroman von Paulo Coelho, angelehnt an die durchschnittliche Dauer des Geschlechtsaktes, den die Protagonistin des Romans mit ihren Freiern durchführt.

 

Es geht um die 11 Sekunden in der Studie, die sich ein Museumsbesucher zur Rezeption eines Werkes an Zeit nimmt. Wie gesagt, es sind durchschnittlich 11 Sekunden und man könnte doch meinen, dass ästhetisierende und figurative Werke eine höhere Aufmerksamkeitsspanne erzielen. Solche Werke, bei denen der Künstler notwendigerweise mehr ausarbeitet und mehr Zeit für die Ausarbeitung aufwendet, müssen vom Rezipienten ja zumeist erst entdeckt werden um zur Wirkung zu gelangen:

 

Ist das Werk vielleicht akademisch aufgebaut, welche Technik wurde benutzt und erzählt es vielleicht eine Geschichte? Die Studie hat ergeben, dass solche Werke nicht länger angesehen und erfasst werden, als abstrakte Werke, die ggf. nur ein Seherlebnis vermitteln. Übrigens blieben die Besucher des Museums auch überraschend cool bei der Betrachtung der Werke. Die von den Wissenschaftlern gemessenen Parameter wie Herzschlag und Hautwiderstand signalisierten im Ganzen eher gepflegte Langeweile.

 

Tja, meine Damen und Herren und nun kommt die 100.000,00 $ Frage, vor welchem Kunstwerk die Besucher am Längsten stehen blieben um es zu betrachten. Durchschnittliche  Verweildauer hier 34,5 Sekunden, Herzschlag erheblich erhöht, Hautwiderstand ist auf ein sandinistisches „No Pasaran“ hochgedreht.

 

Der Titel des Werkes lautet „Antibild“, der Künstler war Günther Uecker und es handelte sich im Wesentlichen um ein Nagelbrett, dass an die Wand gehängt wurde.

 

 

Exakt vor diesem Werk übten sich die Besucher in intensivster und längster Rezeption. Warum ist das so, meine Damen und Herren?

 

Ich sage es Ihnen: Es ist der Obi-Moment, der Moment in dem die Heimwerkerabteilung des Großhirns angesprochen wird. Diese Hirnregion ist nun von der Werbeagentur Jung von Matt entdeckt worden und wird seitdem von entsprechenden Werbespots zum Obi-Moment penetriert.  

 

Beim Anblick von Nägeln reagiert dieser Teil des Gehirns offenbar heftig. Der konstruktive Teil dieser Hirnregion überlegt, was er mit den Nägeln zusammennageln kann, der destruktive Teil dieser Hirnregion überlegt, wen er auf dieses Nagelbrett setzen könnte. Tja, meine Damen und Herren, damit hat der OBI-Moment aus der Werbung dieses Baumarktes nun auch Eingang in die Kunstgeschichte gefunden. Es gibt dort natürlich auf alles Rabatt, außer auf Tiernahrung.

 

Die Werke von Uecker gehören heute zur DNA vieler berühmter Museen. Uecker benagelte nicht nur im Rechteck, sondern auch im Kreis und auch Gebrauchsgegenstände wie z. B. Tische. Seinen eigenen OBI-Moment hatte Uecker übrigens in der Kunstschule in Düsseldorf. Aufgabe war Aktzeichnen, was Uecker immer schon hasste. Er schildert seinen eigenen OBI-Moment wie folgt: Er wäre gerade dabei gewesen, mit seinem Zeichenstift an einer Vagina rum zu kritzeln und weil das Werk ihm nicht gelingen wollte, stach er einfach den Zeichenstift mit voller Wucht durch den Zeichenblock. Tja, meine Damen und Herren, jedes Ding hat 2 Seiten. Wenn die eine Seite nichts geworden ist, lohnt es sich die andere Seite einmal zu besehen.

 

Die andere Seite kann dann Ausgangspunkt für eine Weltkarriere sein. Oft bringt nicht das Geplante und Konzipierte das Glück zu uns, sondern der Zufall. Aber man muss diesen Zufall auch zur Kenntnis nehmen und ihn als Gelegenheit betrachten. Einer der Altmeister der Börsenspekulation, nämlich André Kostolani vertrat stets das Motto: „Man muss dem Geld entgegengehen, man darf ihm nicht hinterherlaufen.“ Uecker tat das Richtige in diesem Kontext. Hätte er versucht, die Vagina noch mal schön zu zeichnen, anstatt sich mit der Kehrseite seines Zeichenblocks auseinanderzusetzen, wäre vielleicht aus ihm nicht viel geworden.

 

Ja, meine Lieben, entgegengehen und nicht hinterher laufen. So geht es besser mit Allem. Nun gehen wir mal nach diesem zu langen Vorspann der Kunst von Bernd Harms entgegen. Roland Peeters wollte zunächst an dieser Ausstellung teilnehmen und dann nicht mehr. Wir sind ihm nicht hinterhergelaufen.

 

Wie heißt es so treffend bei Shakespeare:  

 

„All the world’s a stage,
And all the men and women merely players;
They have their exits and their entrances”

 

In vielen Bildern von Harms wird eine Bühne aufgebaut, die Sie dazu einlädt, die abgebildete Szenerie zu betreten. In diesem Kontext möchte ich besonders hervorheben das Werk „Spiaggia Rena Majore II“.

 

 

Ich möchte mal sagen, das ideale Setting für einen Ausflug hinaus aus der Urbanität und Nervosität, in ein von Harms reduziert dargestelltes Hideaway in Wasserlage.

 

Eine Strandhütte auf hellem Sand und unter blauen Himmel. Die Strandhütte nicht zu elegant, leicht vom Seeklima patiniert, das gesamte Setting nicht zu gepflegt, Harald Glöckler und Karl Lagerfeld werden hier nicht gesichtet. Surfbrett ist vorhanden. Und dann als sicherlich nicht zufälliges zentrales Bildelement dieser gelbe Plastikstuhl. Also ich weiß nicht, wie es den Herren und Damen der Schöpfung hier so geht, ich würde ganz gern mit leichtem Gepäck die Szenerie betreten, mir geräuschvoll den Plastikstuhl auf die Veranda ziehen, ein Bierchen aus dem mitgebrachtem Sixpack rausfummeln und dann mal gucken, was heute Nachmittag noch so geht.

 

Für mich ist hier das Kerngeschäft der Ausstellung, dass wir mit Bernd Harms einen Künstler haben, der uns in eine Szenerie hineinzieht. Da gibt es für jeden die richtige Bühne, auch die Surreale. Sehr beeindruckend in diesem Kontext das Werk „Ansichtssache“.  

 

Eine Villa reißt sich von ihrem Fundament los und Sie, verehrte Damen und Herren können bestimmen, wohin es mit Ihrem repräsentativen Domizil hingehen soll. Für den Pragmatiker geht es in ein Steuerparadies, für den Altlinken in die Toskana, für den Sonnenhungrigen nach Marokko und für den Immobilienmakler würde die Versetzung von Hamburg-Eidelstedt nach Nienstedten Sinn machen, am besten Richtung Hochkamp, weil es dort die größten und teuersten Grundstücke gibt.

 

Im Kontext zum vorherigen Bild, der wildromantischen Strandhütte zu der man erst hinfahren muss, schlägt also dieses Bild vor, das Häuschen an einen bevorzugten Ort mitzunehmen. An sich gefällt es dem Rezipienten in den eigenen vier Wänden ganz gut. Er würde nur vielleicht eine Gegend mit anderen Standortfaktoren bevorzugen. Ich glaube ich müsste länger als 11 Sekunden überlegen, wo ich abgesetzt werden will. Rezeption braucht Zeit. Bernd Harms wünscht sich dass der Betrachter zunächst, das „Auge sehen lässt, was es sieht“. Achten Sie auf Details, damit Ihnen nichts entgeht.     

 

Entdecken Sie bitte auf diesem Werk „das Lied des Distelfinks“ gleich 3 Distelfinken.

  

 

Zur Frage der  Distelfinken deswegen ein kleiner Ausflug in die Ornithologie.

Der Distelfink ist ein possierliches kleines Kerlchen von schlanker Gestalt, einer roten Gesichtsmaske auf weißem Kopf und schwarzem Nacken. Der gegabelte Schwanz hat weiße Flecken im spitzen Drittel. Der Distelfink wird auch Stieglitz genannt und siedelt in Westeuropa bis Mittelsibirien. Seine Nahrung setzt sich aus halbreifen und reifen Sämereien von Stauden, Wiesenpflanzen und Bäumen zusammen. Das Werk heißt „das Lied des Distelfinks“, also deswegen noch kurze Ausführungen zu Stimme und Gesang.

Hierzu ist zunächst zu bemerken, dass der Distelfink bei Erregung, also z.B. bei seinem OBI-Moment, ein scharfes „zidi“ von sich gibt. Wird er aggressiv, z.B. weil er mit seinem Nestbausatz nicht zurecht kommt, knallt er ein hartes schnarrendes „tschirr“ hinterher. Wenn der Stieglitz  nur vor sich hinchillt, trägt er zu pendelnden Bewegungen Laute wie „dudidelet“, bzw. „didudit“ vor. Dies machen insbesondere die Männchen, wenn sie mit ihren Kumpels in der Gruppe sind.

 

Richard Serra, weltbekannter Schöpfer von großdimensionierten Metall-Skulpturen hat 2011 ein denkwürdiges Interview zu der Frage, why make art?, d. h. warum soll man Kunst machen, gegeben.

 

Seine Antwort war, dass die Künstler über die Jahrhunderte den Blick auf die Realität immer wieder verändert haben. Der Reichtum den die Kunst geschaffen hat, besteht darin, dass die Künstler Landschaften, Menschen und Anderes zu immer neuen Wahrnehmungen gebracht haben.

 

In diesem Sinne malt Bernd Harms die Bühne auf der Ihre Assoziationen ihren Auftritt haben können. Jeder verfolgt dort sicher seine eigenen Gedanken. Wenn ich vorhin gesagt habe, dass Harms die Villa zum Schweben gebracht hat, so ist das meine Interpretation. Wenn Sie sich dagegen erst vor kurzem das Video von Loriot über die Steinlaus angesehen haben, assoziieren Sie vielleicht eher, dass eine Horde Steinläuse das Erdgeschoss sauber weggefressen hat.   

 

Die Szenerien von Bernd Harms haben ihre eigene Energie und eigene Magie. Andererseits wird ihnen nicht vordefiniert, was sie daraus machen. Wie in der modernen Kunst üblich, hat der Betrachter die Deutungshoheit über dasjenige was er sieht. Andererseits wabert der Betrachter bei Harms nicht durch das Ektoplasma völlig abstrakter Kunst. Harms Konzept ist es, durch figurative Elemente den Betrachter einen Anknüpfungspunkt für seine Assoziationen zu geben. Ab da geht es dann unverbindlich weiter. Für den einen schwebt das Haus, für den anderen hat es Besuch von der Steinlaus bekommen. Jedenfalls war der Gesang des Distelfinks zu hören.

 

Meine Damen und Herren, die Ausstellung der Werke von Bernd Harms ist bis zum 03. Februar des nächsten Jahres in der Kunstkantine zu sehen. Gegenüber Galerien und Museen hat die Kunstkantine den Vorteil, dass sie die Werke entspannt bei einer Tasse Kaffee oder einem Mittagessen betrachten können. Sie können sich also mehr als 11 Sekunden oder 11 Minuten Zeit lassen, sich mit den Werken auseinander zu setzen.

 

Die Kunstkantine veranstaltet auch Events. Unsere Weihnachtsfeier ist beispielsweise am 18. Dezember. Für Unterhaltung sorgt neben den ausgestellten Werken eine berühmte Kartenlegerin. Zum Ende des Jahres ist es ja immer höchst angenehm, zu hören, was das nächste Jahr bringt. Zum Beispiel könnte es einen Bilderkauf in der Kunstkantine mit sich bringen.

 

Sie würden damit keinen Fehler machen. Bernd Harms wurde vielfach ausgestellt und wenn ich das mal aus meiner laienhaften Auffassung wiedergeben darf, mein Eindruck ist, dass er jetzt in den von ihm gemalten Sujets thematisch und technisch mit allen Koffern angereist ist. In diesem Kontext möchte ich auch erwähnen, dass die leichte Stimmung der kommenden Festtage die ideale Begleitmusik dafür ist, spontan auftretenden Kaufimpulsen Folge zu geben. Ansprechpartner für den Erwerb der Werke ist für die Zeit der Ausstellung meine Frau Nissi, die Namensgeberin und Initiatorin der Kunstkantine.

 

So, Ihr Lieben, das war meine letzte Keynote in diesem Jahr. Es hat mir stets Spaß gemacht. Jede Laudatio die hier gehalten wurde, ist ein Unikat und kann immer auf der Website von Nissis Kunstkantine nachgelesen werden. Nichts geht aber über das Liveerlebnis, weshalb ich mich freuen würde, euch auch im nächsten Jahr auf den Vernissagen begrüßen zu können. Wir haben da viel vor. Deswegen wie man so schön sagt, „stay tuned“, bleibt am Ball, was die Kunstkantine angeht. Am Ball bleiben heißt aber auch dass ihr den heutigen Abend für gute Kunst und gute Gespräche nutzt. In diesem Sinne wünsche ich euch einen schönen Abend und eine gute Zeit und bedanke mich fürs zuhören.   

 

 

 

             

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vernissage der Ausstellung "„Mensch und Architektur“"

Exponate der Ausstellung "„Mensch und Architektur“"

Nissis Kunstkantine

Kunstgalerie & Eventlocation
Am Dalmannkai 6
20457 Hamburg (HafenCity)

Mo – Sa 11:30 – 16:30 Uhr
Und nach Vereinbarung

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