Laudatio Jürgen Friedburg Nissis Kunstkantine, 20. Juni 2019 Liebe Freundinnen und Freunde der Kunstkantine, liebe Gäste, willkommen im Bernsteinzimmer der HafenCity! Mein Name ist Bernd Roloff, ich bin der Keynote-Speaker der Kunstkantine und darf Euch heute auf das Herzlichste begrüßen, zur 53. Vernissage von Nissis Kunstkantine seit ihrer Eröffnung im März 2013. Die Ausstellung gilt den Werken von Jürgen Friedburg und steht unter dem Motto „Meeransichten – mehr Ansichten“. An den Wänden, meine Damen und Herren, haben wir Seestücke, Landschaftsmalerei, aber auch Abstraktes. Nun wollen wir doch mal sehen, wie man sich ein Werk von Jürgen zugänglich machen kann. Dabei wird mir helfen, meine Assistentin Betty, die meinen Vortrag durch das Hochhalten von Hardcopys unterstützen wird. Nehmen wir doch mal das Werk „Seebrücke Ahlbeck“. Ich muss zu meinem Erstaunen sagen, dass ich von Jürgen viel mehr Ansichten gehört habe, als ich erwartet habe. Künstler sind bei der Frage: Warum und wieso? oft schweigsam. Das Werk ist einfach da. Kommt aus dem Flow und materialisiert sich.
Warum malt man so ein Bild? Da ist zunächst einmal die Darstellung des Himmels. Jürgen bezeichnet den Himmel als einen Raum, der nicht von Menschen gesteuert werden kann. Seine Darstellung des Himmels ist also keine simple Hintergrundmalerei, sondern sie hat ihre Begründung: Der Himmel als einen Raum, der nicht von Menschen gesteuert werden kann. Nun kann man denken, ein guter Spruch ist immer etwas wert, aber von den 18 Semestern, in denen sich Jürgen architektonisch und künstlerisch fortgebildet hat, hat er auch 2 Semester bei den Meteorologen verbracht. Meteorologie bedeutet „Untersuchung der überirdischen Dinge“. Tatsächlich kann man den Himmel wohl untersuchen, aber ob er gesteuert werden kann, das ist eine der heißesten Fragen, die im Moment Politik und Gesellschaft beschäftigen. Allerdings nicht in Indien oder in China, wo alle 2 Wochen ein neues Kohlekraftwerk aufgemacht wird. Aber mit Sicherheit kam das Gespräch auf das Klima im Restaurant auf der Seebrücke Ahlbeck. Ist ja jetzt Tagesgespräch. Die Konstruktion befindet sich auf der Ostseeinsel Usedom. Es gibt dort eine Aussichtsplattform, ein Restaurant und einen 280 Meter in das Wasser ragenden Seesteg, an dem Musikdampfer anlegen können. So sieht die Seebrücke in Ahlbeck heute aus: Wenn wir in den deskriptiven Kategorien bleiben, dann haben wir jetzt eine von Menschen errichtete Konstruktion, die in den von Menschen nicht steuerbaren Raum hineinplatziert wurde. Als Betty das Foto von der Konstruktion gesehen hat, sagte sie zu mir, dass sieht ja nett aus, mit seinen Türmchen und so. Ein interessantes Statement. Jürgen ist nämlich der Auffassung, dass jeder Mensch einen Sinn fürs Ästhetische hat, warum würde man sonst Ausflugsziele, wie die Seebrücke von Ahlbeck ansteuern. Allgemeine Berühmtheit erlangte die Seebrücke von Ahlbeck vor Allem auch durch den Film von Loriot „Pappa Ante Portas“. Hier ein Bild von der hinreißenden Geburtstagsszene von Omas 80. Legendär der Dialog des harmonischen Ehepaars. Zitat: „Wenn wir einmal irrtümlich verschiedener Meinung sind, haben wir uns besonders lieb. Wir haben uns während unserer 6-jährigen Verlobungszeit füreinander aufgehoben und werden deswegen heute täglich belohnt durch das Miteinander und Füreinander. Ich freue mich immer, wenn Hedwig etwas besser weiß“. Meine Lieben, vor 2 Laudatien haben Betty und ich auf dieser Treppe den Dialog zwischen Darth Vader und Luke Skywalker nachgesprochen: Darth: Luke, ich bin dein Vater! Luke: Nein, das ist nicht wahr, das ist nicht wahr, niemals! Darth: Erforsche deine Gefühle, Luke, du weißt, dass es wahr ist. So, Betty, jetzt bist du noch mal dran. Was sagt die harmonische Ehefrau zu Statements ihres Gatten: Betty: „Du Guter!“ Jetzt aber mal zurück zum Bild. Wir haben mitgenommen, den Himmel als vom Menschen nicht gesteuerten Raum, eine Konstruktion, die in diesen Raum hineinragt und dass jeder Mensch ein ästhetisches Empfinden hat, wie auch immer dies aussehen mag. Und da sind wir schon bei dem Thema, dem sich Jürgen in Theorie und Praxis sein ganzes Leben lang mit dem höchsten Engagement gewidmet hat, nämlich der Architektur. Hier vertritt Jürgen die Auffassung, dass sich die äußeren Formen eines Gebäudes aus seiner inneren Funktion oder seinem Zweck ableitet. Natürlich konnte ich mich in diesem Kontext nicht enthalten, Jürgen nach seiner Auffassung zur Elbphilharmonie zu fragen, schließlich sind wir hier in der HafenCity. Jürgen hat mir 2 interessante Antworten gegeben. Was ist die Aufgabe der Elbphilharmonie? Musik im Angesicht des Hafens. Also muss man vom Konzertsaal in den Hafen hineinsehen können und man muss vom Hafen in den Konzertsaal hineinsehen können. Unverständlich ist für ihn, weshalb der Konzertsaal nicht flexibel gestaltet wurde. Ein Orchester benötigt eine andere Akustik, als Kammermusik, ein Sänger eine andere Akustik als Taiko-Trommeln. Das mal als Statement zur Elbphilharmonie. Wenn Sie Jürgen mal richtig erschrecken wollen, dann müssen Sie nur ein Wort sagen: Frankfurt Frankfurt hält Jürgen für brandgefährlich und fürchterlich. Wir kennen ja den Begriff „Stendhal-Syndrom“. Für diejenigen, die ihn nicht kennen, noch mal kurz zur Wiederholung: Der Begriff Stendhal-Syndrom stammt von der italienischen Ärztin Graziella Magherini. Frau Magherini arbeitete in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses von Florenz und behandelte dort insbesondere Patienten, die angesichts der Schönheiten und Kunstschätze von Florenz Ohnmachtsanfälle hatten, explodierenden Blutdruck oder ganz allgemein einen an der Murmel bekommen hatten. Ob es in Frankfurt eine spezialpsychiatrische Abteilung für Geschädigte des architektonischen Brutalismus gibt, konnte ich nicht recherchieren. Jedenfalls fordern Politiker und Architekten jetzt einen Gestaltungsbeirat. Dieser Gestaltungsbeirat wird sich besonderen Herausforderungen stellen müssen. Schließlich ist jetzt „Brexit“ und neue Finanzdienstleister wollen Hochhäuser in Frankfurt bauen. Unser Künstler, auf der Höhe der Zeit, hat ein Werk mit dem Titel „Brexit“ hier in der Ausstellung. Für mich ein abstraktes Werk, das durch den Titel aber eine bestimmte Deutung erlangt. Ich sehe dort ein von der europäischen Landmasse abbrechendes England, das im atlantischen Ozean versinkt. Ganz anders sieht das Werk unser Künstler: Das Gemälde, so der Künstler, ist die Sichtbarmachung einer psychischen Struktur. Aufschiebitis, Prokrastination, Entscheidungsschwäche erzeugt Unsicherheit. Die Lage wird immer schwieriger, die Situation unübersichtlicher und brenzliger. Es ist sicherlich besser, überhaupt eine Entscheidung zu treffen, als endlose Meetings abzuhalten, um die beste zu suchen. Heute entscheiden Sie sich bitte für ein Werk von Jürgen Friedburg. Jürgen hat es sich vor Allem zur Aufgabe gemacht, für Andere zu sehen. Für andere sehen, meine Damen und Herren, das sind große Worte. Aber ich muss zugeben, dass Jürgen mich tatsächlich mit etwas überrascht hat, dass ich nicht gesehen habe. Ich beziehe mich jetzt auf das Werk „Wasser ist Leben“: Es ist kein abstraktes, sondern ein figuratives Werk. Es zeigt ein Detail aus einer Zisterne in Nordafrika, genauer gesagt, in Tunesien. So. Soweit, so gut. Aber es gibt noch etwas sehr Besonderes in diesem Bild. Exakt zu dieser Tageszeit stand die Sonne so, dass die beiden ovalen Konstruktionen einen Schatten warfen, der wie eine weibliche Brust aussieht. Das nenne ich überlegenes Sehen, bzw. Erkennen. Wenn Sie dieses Bild kaufen, meine Damen und Herren, dann haben Sie mit Sicherheit was zu erzählen, wenn Besuch kommt. Überwiegend wird man die beiden Schattenbrüste nicht als solche erkennen. Sind sie durch die Erklärung des Gastgebers erkannt, kann er die Diskussion in zwei Richtungen lenken: Ist der Gast ein kunstbewusster Hedonist oder eine Hedonistin, bietet sich eine Diskussion zum Thema „Der Busen in der Kunst“ an. Sie zitieren Rousseau zum perfekten Busen: „Ein Kügelchen von Elfenbein /Auf dessen Mitte, sanft gespitzt / Ein Kirschlein, eine Beere sitzt.“ Dann schenken Sie Rotwein nach und lassen erstmal den Gast reden. Sollte dagegen die feministisch angehauchte Sozialkundelehrerin auf dem Sofa sitzen, um das Betragen ihres Steppkes zu besprechen, der gerade in seiner 187 Straßenbande-Phase ist, dann zeigen Sie am besten nicht die Schattenbrüste, sondern bramabasieren auf dem Satz „Wasser ist Leben“ rum, die natürlichen Ressourcen, blabla, sie haben zwei Spülknöpfe an ihrer Toilette und eine Regentonne im Garten. Autowaschen findet bei Ihnen sowieso nicht statt und gebadet wird nur sonntags. Jürgen hat mir versichert, dass er mit keinem seiner Werke eine Mission verfolgt. Sie haben also die Wahl, welchen Kniff Sie der Diskussion geben wollen. Jürgen freut sich, so wörtlich, „wenn das von ihm gekaufte Bild dem Käufer etwas bringt“. Fast jedem unserer Künstler habe ich die Frage gestellt, ob er sich schweren oder leichten Herzens von seinen Werken trennt. 2 Bilder, die er gemalt hat, wird er nie verkaufen. Ein Drittes hat er einmal in einer Ausstellung so hoch gepreist, dass es Gott sei Dank niemand kaufen sollte. Und das Bild war dann gleich als erstes weg. Eines kann ich Ihnen garantieren: In den Werken von Jürgen steckt allerhöchstes Engagement. Er beschreibt den Schaffensprozess als anstrengendes Pingpong zwischen Fantasie und Rationalität und zwischen Theorie und Muse. Das ist für ihn die Quelle seiner Kreativität. Und dann bitte nicht zu viel Vorwissen und Kalkül ins Bild, sondern sich auch mal gehenlassen. Allerdings muss das Ego zurücktreten und bitte keine Mission. Wenn das Endergebnis nicht stimmt, dann hat Jürgen kein Problem damit, das Bild zu übermalen. Übrigens kann jeder Käufer sein Bild auch wieder zurückgeben, wenn es ihm dann doch nicht gefällt. Die Schnittmenge bezüglich Lieblingsmaler bildet bei mir und Jürgen William Turner. Mr. Turner, Meister des Lichts, auf diesem Bild hat er sich mal unter anderem mit einem Dampfschiff beschäftigt. Damals war ja mehr Segel. Jürgen kann auch ein Dampfschiff in turneresker Malweise anbieten, nämlich die Senatsbarkasse „Schaarhörn“: Alles, wie es sein soll. Himmel und Hafenhintergrund im sanften Sfumato erschaffen die Perspektive und das Motiv ist auch höchst interessant. Der Staatsdampfer „Schaarhörn“ mal in voller Pracht. Das Motiv passt in unsere Zeit. Aus dem Schornstein kommt eine Feinstaubbelastung, als wenn man die Max-Brauer-Alle neu asphaltieren würde. Auf der Webseite der Schaarhörn ein Manifest zur Verschwendung von Steuergeldern. Dort heißt es: „Am Anfang stand ein Täuschungsmanöver: 1907 beantragte das Amt für Strom- und Hafenbau bei der Hamburger Bürgerschaft Mittel für den Bau eines „Peildampfers“ (nach heutigem Sprachgebrauch ein Vermessungsschiff). Heraus kam ein luxuriös ausgestatteter, schneller Zweischrauben-Dampfer mit modernster technischer Ausstattung – eigentlich nämlich wollte man ein standesgemäßes Schiff, um Kaiser Wilhelm II. durch den Hamburger Hafen zu fahren (wozu es offenbar nie gekommen ist).“ In jedem Hamburger Haushalt gehört ein Werk der Marinemalerei. Ich warne in diesem Kontext vor Segelschiffen. Am Ende kommt ein Segler bei Ihnen zu Besuch und will mit Ihnen Fachgespräche führen über einen ausklüvernden Besanbaum oder eine Verstagung des Klüverbaumes oder die Gaffeltakelung im 19. Jahrhundert oder irgendetwas Anderes, von dem Sie keine Ahnung haben. Insofern rate ich Ihnen hier dringend zur Schaarhörn, ein schmucker Zwei-Schrauben-Dampfer. Am besten, Sie kaufen sich die Seebrücke Ahlbeck noch dazu. Die Schaarhörn kann man mieten. Wie wär´ s, wenn Sie mit der Schaarhörn mal an der Seebrücke Ahlbeck anlegen. Vorher wird im Jugendstilsalon ordentlich gefeiert. Das ist doch etwas für Ihre Bucketlist, der Liste für die Dinge, die Sie noch erledigen wollen, bevor es in die ewigen Jagdgründe geht. Ich würde mir die beiden Werke als Diptychon kaufen, dann kann man schon mal in Gedanken randampfern und anlegen. Begleitet von seinen Lieben mit Appetit auf Seezunge im Restaurant und auf einen sehr kalten Chablis an der Bar. Gestärkte Servietten, Sommerkleider und bitte nur mäßiger Seegang unter langen weißen Wolken und dem prächtigen Firmament. Es ist ein dezentes, lang gedehntes Tuten zu hören, begleitet von einer Schiffsglocke. Ihr Lieben, mit dieser deskriptiven Prosa habe ich hoffentlich Eure Fantasie angeregt, mit der Ihr jetzt den Werken von Jürgen Friedburg begegnet. Ich bedanke mich fürs Zuhören. Bis bald. Bernd Roloff
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