Liebe Freundinnen und Freunde der Kunstkantine, liebe Gäste, liebe Kunstschaffende! Willkommen im Bernsteinzimmer der HafenCity. Sie befinden sich in der 73. Vernissage der Kunstkantine seit ihrer Eröffnung im März 2013. Damit sind Sie jetzt nach Ort und Zeit orientiert. Mein Name ist Roloff, Bernd Roloff. Ich bin der Keynote-Speaker der Kunstkantine und darf Sie herzlich zu diesem besonderen Event begrüßen. Zu meiner Rechten meine Assistentin Betty, die ihren zweiten Vornamen nicht mag. Ich nenne sie einfach Moneypenny. Die Ausstellung hat das Motto „Kunst und gut“. Also, das Motto imponiert in seiner enormen Schlichtheit. So eine Art „Stammessen“. „Herr Kellner, 2 x Stamm“, was immer da auch kommt. Nun wollen wir mal mit dieser Laudatio etwas nachwürzen. Dazu bin ich ja da. Maribel hat die Ausstellung mit 4 sogenannten „Bathing Beauties“, also Strandschönheiten, bestückt, die allesamt eine Badekappe tragen. Bis Ende der 80er Jahre war es in fast allen öffentlichen Badeanstalten Pflicht, eine Badekappe zu tragen, da die beim Schwimmen ausfallenden Haare in den technischen Installationen der Schwimmbäder leicht zu Verstopfungen führen konnten. Ich bin ja in Quickborn aufgewachsen. Wir hatten ein Freibad: Der Bademeister hatte seinen Hochsitz zwischen der Wasserrutsche und dem Sprungturm platziert. Wenn an diesen beiden Hotspots des Quatschmachens nix zu tun war, wurde die korrekte Badekappennutzung beobachtet. Typischer Fall: 12 – 14jähriger Junge mit längeren Haaren, bei dem die Kopfbedeckung nur bis zur Ohrlinie reichte, quasi als Schmuck der Vokuhila-Frisur. Da kassierte man dann einen Pfiff aus der Trillerpfeife und man mühte sich darum, die Badekappe tieferzulegen. Badekappen haben etwas Nostalgisches. Moderne Schwimmbadszenen ab 1989 ersparen sich dieses einstmals stilbildende Accessoire. Hier etwa ein Werk von Terry Rodgers aus dem Jahr 1990: Offenbar ein Nudisten-Club. Hier ist gar nichts bedeckt. Luftmatratzen, Wasserbälle, Outdoor-Möbel, fröhliche Wasserspiele, aber von einer Badekappe ist nichts zu sehen oder zu bemerken. Wieder ein Dissertationsthema: „Die Badekappe in der Kunst“ Großartig. Maribel arbeitet in Serien: „Summer Game“, „Sunny“, „Summer Dreaming“ und schließlich „Summertime“: Eines der Lieblingsgemälde von Maribel ist übrigens „Strandspaziergang“ von Joaquin Sorolla aus dem Jahr 1909. Während die beiden Damen in hochgeschlossenen Kleidern ein züchtiges Defilée am Strand abschreiten, gibt es bei Maribel wenigstens etwas Haut und Aktion zu sehen. Habe ich vorhin gesagt, dass Badekappen etwas Nostalgisches haben? Ich habe von Maribels Antworten auf unserem Künstlerfragebogen ein Wort gelernt. Es heißt: Wichtigkeitsverlängerung. Insofern ist die Badekappendarstellung wohl eher eine Wichtigkeitsverlängerung als Nostalgie. Wie Sie wissen, ist eine Vernissage nicht zuletzt auch eine Verkaufsveranstaltung. Wir stellen uns mal vor, dass man bei 6,5° Außentemperatur, verhangenem Himmel und Nieselregen aus dem Schlafzimmer ins Wohnzimmer schlurft, so gegen 6:55 Uhr, also so wie meistens in den letzten 5, 6 Monaten und wir erblicken an der Wand ein Motiv aus der Sommerserie von Maribel. Zynischer Stimmung ist man nämlich erst ab einer gewissen Reifung des Tages. Also werden diese Werke früh am Morgen erfrischend motivierend abstrahlen. Eine Hoffnung auf einen schönen Sommer mit Schwimmring und Wasserball. Eben habe ich von Reifung gesprochen. In unserem „Fragebogen an den Künstler“ gibt es die Frage, was der Künstler bei der Werkschaffung am Schönsten findet, das fertige Bild oder den Flow beim Malen. Maribel gibt eine ganz neue Antwort: „Weder noch. Die Bilder brauchen eine Zeit zum Reifen. Manchmal sind die in einem Guss fertig, andere brauchen eine längere Zeit. Ich hänge die Bilder bei mir im Atelier auf und beobachte sie. Manchmal werden sie 1, 2, 3 Mal überarbeitet. Erst, wenn sie das richtige Bouquet entfalten können, werden sie signiert und reif für eine Ausstellung.“ Gerd gibt dagegen eine bodenständige Antwort auf die Frage, was für ihn wichtig ist: „Eher zielorientiert. Die Fertigstellung eines Bildes erfüllt mich Befriedigung“. Bildtitel finden beide Künstler wichtig, wobei Maribel nach meinem Eindruck eher Titel verwendet, die ihre momentane Stimmungslage ausdrücken, während Gerd eher auf die Stimmungslage oder die Message reflektiert, die das Werk ausdrückt. In diesen Kontext passt das Werk „Nähe“ von Gerd: Kommen wir also von der Oberwasserwelt der Sommer-Serie von Maribel nun zur Unterwasserwelt. Die bei Gerd abgebildeten Fische sind zweifellos sogenannte Doktorfische. Der Doktorfisch erlangte weltweite mediale Aufmerksamkeit durch den Film „Findet Nemo“. Hier sehen wir Nemo mit seiner Kollegin Dori, der vergesslichen Palettendoktorfisch-Dame: Gerd hat sein Werk „Nähe“ genannt. Doktorfische, die sich aneinander kuscheln. Aus der Anbahnungsphase wird die Eroberungsphase und wenn die Beiden der Natur ihren freien Lauf lassen, geht es wie folgt weiter: „Der eigentliche Laichakt beginnt in der Regel mit einem Imponiergehabe, bei dem Rücken- und Afterflossen aufgestellt werden. Männchen und Weibchen schwimmen dabei parallel, wie bei Gerd. Wie bei vielen Fischarten üblich, die im freien Wasser ablaichen, schwimmen auch die Doktorfische für den eigentlichen Laichakt je nach Art zwei bis drei Meter aufwärts und stoßen auf dem höchsten Punkt gleichzeitig Eier und Sperma ab. Gelegentlich durchstoßen sie dabei sogar die Wasseroberfläche.“ So steht es bei Wikipedia. Das Werk „Nähe“ scheint mir also das richtige fürs Schlafzimmer zu sein, angemessene Deckenhöhe vorausgesetzt. Die Farbwirkung von Blau wird im Übrigen gemeinhin wie folgt beschrieben: Blau steht für Entspannung, Ruhe, Gelassenheit, Treue, Freiheit, Tiefe und Sehnsucht. Berühmte blaue Serienwerke sind beispielsweise die blaue Serie von Picasso ab 1901 oder Yves Klein mit seiner Ausstellung „Monochrome Bleu“ ab 1959, die ich selbst sogar einmal im Centre Pompidou in Paris gesehen habe, die ich allerdings in ihrer farbintensiven Schlichtheit eher beunruhigend fand. In die Kategorie „Beunruhigung“ fallen in dieser Ausstellung Werke wie zum Beispiel „Gender“ von Gerd:
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Gerd schreibt mir dazu: „Gender“ nimmt ein aktuelles Thema auf- das Verhältnis des Mannes bzw. der männlich dominierten Bereiche zum weiblichen Geschlecht und dessen Bereich, das sich oft bedroht oder unterdrückt fühlt“. Tja, meine Damen und Herren, bis zur Einführung des Gendersternchens wusste man gar nicht, dass es eine Genderproblematik gibt. Neulich stellte sich die Frage, wie man Diskriminierung bei Anmeldung in einem Online-Shop vermeiden kann. Gewöhnlich erfolgt der Klick bei „Herr“ oder „Frau“ in der Anredezeile. Aber was machen wir nun mit denen, die sich den klassischen Geschlechterrollen nicht verbunden fühlen? Richtige Antwort: Keine Anrede. Es gibt offenbar Personen, die sich keiner traditionellen Geschlechterrolle verbunden fühlen, oder sich sogar mal so und mal so verorten. In der Bestätigungsmail von Ikea heißt es also nicht: „Sehr geehrter Herr Roloff, vielen Dank für die Bestellung unseres Regals Kallax“, sondern es heißt: „Hey Bernd, danke, dass du Kallax bestellt hast“. Aus dem Orbit der Porträts mit seltsamen Titel hat Maribel dieses Werk mitgebracht: Es heißt: „Rokoko, gesegnete Frauenquote 3“ Meine Damen und Herren, für dieses Gemälde gilt das Motto von Frances Bacon: „The job of the artist is always to deepen the mystery”. Die erste Schwierigkeit liegt darin, dass sich das Gemälde, wie soll ich sagen – nur mühselig in die Kategorien der Porträts einordnen lässt. Vom Ausschnitt her ist es für ein Bruststück zu lang, und mit der Einordnung als Schulterstück gibt es auch Schwierigkeiten. Es fehlen die Schultern. Verständlich ist der Titel insoweit, als er sich auf das Rokoko bezieht. Wie wir wissen, war das Rokoko eine Stilrichtung der europäischen Kunst von etwa 1730 bis etwa 1780. Aber was fangen wir mit „gesegnete Frauenquote 3“ an? Wenn man das Werk lange genug ansieht, dann meint man, sich an den sehr alten 20-Mark-Schein zu erinnern: Diese Haube hat es irgendwie in sich. Die Frau auf dem 20-Mark-Schein war Elsbeth Tucher. Bekannt wurde sie durch ihre Abbildung auf einem Gemälde Albrecht Dürers, das sich in der Gemäldegalerie Alte Meister in Kassel befindet. Das Gemälde, datiert von 1499, ist also ca. 250 Jahre früher als das Rokoko entstanden. Da gab es noch keine Halskrause wie auf Maribels Gemälde „Rokoko, gesegnete Frauenquote 3“. Die Halskrause kommt erst Ende des 17. Jahrhunderts in Spiel als sogenannter Spanischer Kragen. Dementsprechend könnte der etwas neuere 20-Mark-Schein Vorlage für „Rokoko, gesegnete Frauenquote 3“ gewesen sein. „Rokoko, gesegnete Frauenquote 3“. Was macht man bloß mit der Frauenquote? Ja, meine Damen und Herren, hier ist Einiges an Assoziationskraft erforderlich. Dafür bin ich ja da. Die Frauenquote auf Geldscheinen war ursprünglich sehr bedenklich: Von den 7 amtlichen Geldscheinen wurden nur 2 mit den Porträts von Damen bedruckt. Beide auch noch auf den Scheinen mit dem eher geringerem Wert, 5 Mark und 20 Mark. In die Prestige-Regionen von 50 bis 1000 Mark drang die Weiblichkeit nicht vor. In der neuen D-Mark-Serie waren schon 4 von 8 Scheinen mit Frauenporträts bedruckt: Sogar den 500er-Schein zierte ein Frauenporträt, das der Maria Sibylla Merian: Wer zum Teufel war das denn nun? Frau Merian zeichnete sich insbesondere durch die Erforschung der Insektenfauna Surinams aus. Wenn man genau hinsieht, ist über der Zahl 500 offenbar als Anspielung eine blutsaugende Schnake zu erkennen. Verwirklichte man bei den alten D-Mark-Scheinen noch eine ansteigende Frauenquote, plagte die europäische Geldschein-Design-Abteilung offenbar die Gender-Diskussion. Laut Facebook gibt es 60 verschiedene Geschlechter. Deswegen sind auf den Euro-Scheinen wohl nur Gebäude zu sehen. Mal sehen, wie Alles so werden wird, im Moment ist ja galoppierende Inflation. Vielleicht kehren ja Porträts nach einer Währungsreform als bildwürdig auf Geldscheinen zurück. Apropos Inflation: Die Zeiten, in denen man sich reichsparen konnte, sind wohl erstmal vorbei. Die Zinsen sind weit niedriger als die Inflation. Entscheiden Sie sich möglichst noch heute, jedenfalls bald, für ein Werk aus dieser Ausstellung. Geld auszugeben ist in diesen Zeiten ein Segen, es wird immer weniger wert. Geben Sie es aus für ein Gemälde, das sie inspiriert, zu dem Sie Assoziationen haben und das vielleicht auch Diskussionen erzeugt, wenn Sie Gäste haben. Hier ist die Gelegenheit, nutzen Sie sie! Meine Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen für diesen Abend viel Vergnügen. Bis bald in diesem Theater. Bernd Roloff Aus Datenschutzgründen sind einige Bilder nicht veröffentlicht. Die Setzerin