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#76 Kiezromantik und Urban Stories – Marie, Zebrowski, Zint

Im Rahmen der 8. Triennale der Photographie, ein Festival der Fotografie in Hamburg und Umgebung, zeigt Nissis Kunstkantine Werke von drei Fotografen.

Die Ausstellung läuft bis Donnerstag, den 18. August 2022.

Vernissage Donnerstag, 02. Juni 2022, um 19 Uhr

Die Laudatio hält Bernd Roloff

Günter Zint

Günter Zint, geb. 1941, Pressefotograf, hat über 60 Jahre das Geschehen auf dem Kiez dokumentiert und in Bildern festgehalten. Bars und Lokale, Menschen und Szenen.

Zints Fotografien zeigen die Facetten St. Paulis, eingefangen von der Linse eines Fotografen, der sich selbst auf Augenhöhe mit den Menschen im Stadtteil sieht. Es ist der außergewöhnliche Blickwinkel Günter Zints, der den Betrachter in das Geschehen hineinzieht und damit eine Lebendigkeit erzeugt, die den Kiez der 60er, 70er und 80er Jahre greifbar werden lässt.

Zint hat als Kiezfotograf die Anfänge der Beatles, Jimi Hendrix und Eric Claptons in Hamburg begleitet. Er sieht sich nicht als Künstler, sondern als Dokumentarist. Aber das, was er abbildet wird mit der Zeit und gegebenenfalls auch mit Wechsel der politischen Großwetterlage zu Zündstoff.

www.panfoto.de

Janick Zebrowski

Janick Zebrowski, geb. 1985, ist ausgebildeter Fotograf, Videomaker und Breakdancer aus Basel. Er lebt seit 2016 in Hamburg und ist seit 2009 freischaffend im Bereich der Portrait- und Straßenfotografie. Zebrowski arbeitet u. a. mit Samy Deluxe, Laurin Buser, Afrob, Larissa Kerner und Nena zusammen.

Ausstellungen

Red Carpet (Basel, 2015)
S-trovertiert und Abgedrückt (Hamburg, 2018)
Don’t call it a comeback (Hamburg 2020)

https://www.janickzebrowski.de

https://www.instagram.com/janickzebrowski/

Alain L. L. Marie

Alain L. L. Marie, geb. 1946 in Marseille, wurde von seinen durch Studium und Arbeit verursachten „Migrationen“ geprägt. Sie haben ihm ermöglicht, in verschiedenen Kulturkreisen zu leben, deren Einflüsse sich in seinen Bildern bemerkbar machen.

Als Fotograf bietet er dem Betrachter, jenseits eines gewissen ästhetischen Anspruchs, die Möglichkeit in Dialog mit sich selbst zu kommen. Ganz nach dem altgriechischen Motto „Erkenne-Dich-selbst“.

Dafür konfrontieren seine auf gebürsteten Aluplatten gedruckten Fotos mit Leere, Unendlichkeit, Alleinsein, Einsamkeit. Aber auch mit der Ästhetik des Hässlichen oder, durch digitale Verfremdung der Fotos, mit der möglichen Existenz einer anderen Wirklichkeit hinter der „angenommenen“ Realität.

Generell gesehen mögen seine Fotos ein gewisses Unbehagen und dadurch eine In-Frage-Stellung verursachen.

https://alainllmarie.com

Einladung

Rückseite

Die Formatierungen der Laudatios werden derzeit überarbeitet. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Laudatio

Laudatio    „Kiezromantik und Urban Stories“ Alain L. L. Marie, Janick Zebrowski, Günter Zint Nissis Kunstkantine, 02.06.2022   Liebe Freundinnen und Freunde der Kunstkantine, liebe Gäste! Willkommen im Bernsteinzimmer der HafenCity. Sie befinden sich in der 75. Vernissage der Kunstkantine seit ihrer Eröffnung im März 2013. Diese Vernissage findet im Rahmen der 8. Triennale der Fotografie in Hamburg statt.   Mein Name ist Roloff, Bernd Roloff.   Ich bin der Keynote-Speaker der Kunstkantine und darf Sie herzlich zu diesem besonderen Event begrüßen. Zu meiner Rechten meine Assistentin Betty, genannt Moneypenny. Betty ist zuständig für die Begleitung meines Vortrages durch das Hochhalten von Exponaten, sozusagen heute Abend das Nummerngirl.   Die Ausstellung hat das Motto   „Kiezromantik und Urban Stories“.   Die Ausstellung wurde bestückt von 3 Künstlern, nämlich Günter Zint, Janick Zebrowski und Alain Marie. Wenn ich das Wort Künstler in den Mund nehme, regt sich bei Günter Zint schon der Widerspruch. Er bezeichnet sich selbst als „Gebrauchsfotograf“ und ist der Auffassung, es sei viel wichtiger, was man fotografiert, als womit man fotografiert. Das Stilmittel soll nicht über der Realität stehen. Lassen Sie uns doch mal diesen Satz auf der Zunge zergehen. Das Stilmittel soll nicht über der Realität stehen. Der Mann hat einen Plan. Keine Frage. Den Satz habe ich von Günters Homepage geklaut. Es ist empfehlenswert, sich die Homepage mal anzusehen. Sie dokumentiert Günters jahrzehntelanges Wirken und Werden. Das erste veröffentlichte Foto von Günter erschien übrigens schon 1954 in der Fuldaer Zeitung. Es gab 5 Mark Honorar. Es zeigte einen Dackel und eine Ente, die aus demselben Napf fressen. Zum ersten Mal haben wir die Werke von Günter vor 7 Jahren ausgestellt. Da verriet er mir, dass er bei Laudatien über sein Werk am Liebsten rausläuft. Es ist also schon ein Kompliment an den Redner, wenn er im Saal bleibt, hier im Bernstein-Zimmer der HafenCity. Von Alain Marie bekam ich in Bezug auf meine bevorstehende Rede folgende Resonanz: „Grundsätzlich würde ich gern sehen, dass Herr Roloff NICHT im Detail über meine Bilder spricht. Er kann so lange er will über die Technik, das Konzept hinter den Bildern oder gar über mich (ungern, aber ich will ihn nicht total frustrieren…) sprechen, aber nicht über die Bilder an sich.“ Großartig! Dass ausgerechnet dem Laudator eine Deutungshoheit über das Werk abgesprochen wird, hatten wir hier auch noch nicht. Und Janick Zebrowski gibt seinen Werken vorzugsweise keine Titel, sondern nur Nummern. Das hat er mit einem Giganten des amerikanischen abstrakten Expressionismus gemein, nämlich Clyfford Still. Die Schlichtheit in der Werkbezeichnung tat dem Kommerz keinen Abbruch. Das Werk „PH 89“ wurde für 61 Mio. Dollar versteigert. Der Job des Keynote-Speakers kann also durchaus schwierig sein. Aber „einfach“ kann ja jeder. Was sagte noch Kennedy in Bezug auf den Mondflug: “We choose to go to the Moon in this decade, not because it is easy, but because it is hard”. Wir flogen also nicht zum Mond, weil es einfach war, sondern weil es eine Herausforderung darstellte.   So, meine Lieben, jetzt fliegt ihr mit mir in den Kosmos der Kunstkantine. Betty, mach die Ansage:   „Bitte schnallen Sie sich an, bringen Sie ihre Rückenlehne in eine senkrechte Position, klappen Sie die Tische vor sich hoch und vor Allem machen Sie den Notausgang frei! Zum Beispiel für Günter!“   Günters Werke in dieser Ausstellung sind eine prismatische Auswahl von Porträts aus dem Musikgeschäft, Kiezgestalten und Historischem. Die Mauer ist Geschichte und bis auf den Mauerjungen sind die abgebildeten Personen teils ebenfalls Geschichte. Günter zum Glück noch nicht.   Was die Porträts von Günter angeht, haben sie für mich eine ikonische Macht. Nehmen wir mal das Foto „Fritz Rau und Zappa“:   Zappa strahlt die personifizierte Selbstzufriedenheit eines Genies aus. Der Spiegel nannte ihn „den größten Unterlippenbartträger aller Zeiten“. Rau sieht Zappa mit der Skepsis unter dem Slogan   „Was wird dem Irren jetzt schon wieder einfallen“  

  1. 61 Alben in nur 52 Lebensjahren hat Zappa veröffentlicht. Sein musikalisches Werk gilt für Viele als unerreicht.

  Seit 30 Jahren pilgert z.B. die Fangemeinde zur sogenannten Zappanale in Bad Doberan. Ein mehrtägiges Festival, in dem diesem Ausnahmemusiker ausgiebig gehuldigt wird. In diesen Tagen wird aus dem ansonsten eher biederen Bad Doberan „Zappa-Town“:   Zappa steht als Ikone für Nonkonformismus, Virtuosität und Produktivität. Gleichzeitig erinnert er daran, dass jeder seine Zeit nutzen muss. Bedenke, dass du sterblich bist.   Memento Mori.   Eine Ausnahme von der Übung, seine Werke nur mit Nummern zu versehen, macht Janicks Werk „Dönner 60 80“.   Das ideale Küchenfoto. Bei dem Wort „Dönner“ meint man natürlich, dass der Künstler ein Problem mit der Rechtschreibung hat. Aber es ist gerade wegen seiner Unvollkommenheit ein wirkungsmächtiges Werk. Es ist keine komplette Dönertasche. Sie wurde vertikal fast gehälftelt, so dass sie jetzt die Form eines Hai-Mauls hat. Die Mayonnaise tropft bereits aus der Konstruktion heraus, andererseits verleiht die Formgebung der Dönertasche dem Motiv eine hohe aggressive Ausstrahlung. Der Hai schnappt gleich zu und verleibt sich die Füllung ein. Ganz schöne Portion.   Das Werk ist nicht unbedingt etwas für den Veganer-Haushalt oder vielleicht erst recht in seiner Abschreckungswirkung. Der Tod sitzt im Darm, so ein Ausspruch von Hippokrates, dem antiken Arzt und Philosophen. Bei Zappa saß er in der Prostata.   Mir, meine Damen und Herren, macht das Werk Appetit. Schon meine allererste Freundin Angela wurde von mir zu Pommes rot-weiß im Quickborner Freibad eingeladen. Sie machte später Schluss und wandte sich dem Flaschenabräumer in der Disco zu. Ausschlaggebend war vielleicht auch, dass ich nur ein Mofa und Plateaustiefel hatte und er einen Opel Manta in Orange und keine Plateaustiefel benötigte. Mein gebrochenes Herz bedurfte der Heilung. Die perfekte Curry-Wurst aß ich 40 Jahre später in Berlin am Stand „Curry 36“ am Bahnhof Zoo in Gestalt der sogenannten „Wollwurst“, die keine Wurstpelle hat. Das gute Kunstwerk, das habe ich von Dieter Asmus von der Gruppe Zebra gelernt, ist immer ambivalent. „Dönner 60 80“ zeigt es deutlich. Food porn vor rosa Hintergrund oder eine Satire auf Fastfood, sie können es entscheiden. Alain hatte, wie zuvor geschildert, darum gebeten, dass ich nicht im Detail über seine Fotos rede. In seiner Mail führt er Folgendes aus: „Der Grund dazu ist, dass meine Bilder jenseits eines gewissen Anspruchs an Ästhetik, zum Zweck haben, den inneren Dialog im Beobachter anzuregen. Dafür muss der Beobachter selber seine eigenen Ideen zu meinen Bildern entwickeln. Wenn man ihm im Voraus alles erklärt, was darin zu sehen ist …“   Alains Vorbehalt erweist sich als allzu verständlich, gerade was meine Person betrifft. Wenn man mir freien Lauf lässt, verwebe ich eben meine eigene Lebensgeschichte mit „Dönner 60 80“. Angefangen mit der Wollwurst über Angela bis zum Opel Manta in Orange. Der oben erwähnte Currywurst-Stand liegt übrigens genau gegenüber dem neuen Waldorf-Astoria-Hotel in Berlin. Und was sich da zu den Zeiten abspielte, als „Nymphomaniac“ im Zoo-Palast lief, dafür reicht unsere Zeit hier heute Abend nicht aus, aber sprechen Sie mich gerne an, um Ihren inneren Dialog anzuregen.   Meine Damen und Herren, in den vorherigen 74 Ausstellungen, die ich bisher hier kommentiert habe, habe ich in bestimmt mehr als 30 Laudatien immer wieder betont, dass der Rezipient die absolute Deutungshoheit über das Werk hat. Dogmatisch unterlegt ist diese Aussage durch den Aufsatz von Umberto Eco „Das offene Kunstwerk“. Jeder Rezipient sieht ein Kunstwerk anders. Dies gilt jedenfalls für die sogenannte informelle Kunst, aber auch für die klassische figurative Kunst.   Ich war in der letzten Woche in Florenz. In der Da Vinci-Abteilung der Uffizien sah ich sein Werk „Die Verkündigung“:   Es ist für Jemanden, der in der abendländischen Kultur aufgewachsen ist, völlig unmöglich, in dem Gemälde thematisch etwas Anderes zu sehen, als eben die Verkündigung eines Engels, das Maria schwanger vom Sohn des Herrn ist. Ich denke, dass die Thematik insbesondere für Christen so bedeutsam ist, dass sie tausendfach malerisch umgesetzt wurde. Natürlich war die Kurie auch immer gute Kundschaft für die Künstler.   Wer in Indien, China oder Polynesien sozialisiert wurde, sieht die Thematik des Gemäldes wahrscheinlich völlig anders und erfreut sich beispielsweise nur am Seherlebnis. Die Stellung der rechten Hand des Engels könnte man als Ausdruck einer Anweisung sehen. Ein geflügelter Drache, der eine Ansage macht. Die linke Hand von Maria ist eher abweisend. Sie schlägt erstmal im Buch nach, ob das Alles so richtig ist, was die Drachenfrau von sich gibt.   Ich habe hauptsächlich vor dem Gemälde gestanden um zu überprüfen, ob Maria 3 Knie hat:   Dies wird nämlich von manchen lästerlichen Kritikern Da Vincis so behauptet. Ich habe mir nun das Gemälde im Original angesehen und muss sagen, dass die Kritik unangebracht ist. Maria ist also doch kein Dreibein. Hätte ja zu einer Triennale gepasst.   Triennale bedeutet übrigens, dass eine bestimmte Ausstellung alle 3 Jahre stattfindet. Sollte die Kunstkantine ebenfalls wieder in 3 Jahren an der Triennale der Fotografie teilnehmen, bin ich bereits schockierende 60 Jahre alt. Wenn die Kunstkantine ihre Ausstellungsfrequenz beibehält, wäre es dann tatsächlich die 100ste Ausstellung. Ich hätte dann etwa 1000 Seiten Redemanuskripte verfasst.   Ein spannendes Ziel. Es war und wird mir stets eine Ehre und eine Freude sein, euch zu unterhalten.   So, wie beende ich jetzt meine Rede?   Zunächst der Hinweis, dass die Ausstellung noch bis zum 18. August dieses Jahres läuft. Stellen wir uns mal vor, unsere Galerie läge nicht in Hamburg, sondern in Kiew. Wie würde ich euch verabschieden?   So verabschieden sich Ukrainer, die sich länger nicht sehen werden:   Bis nach dem Sieg!   Verbleiben wir dabei. Alles Gute für euch und bis zum nächsten Mal in diesem Theater!   Bernd Roloff   Aus Datenschutzgründen sind einige Bilder nicht veröffentlicht. Die Setzerin    

Vernissage der Ausstellung "Kiezromantik und Urban Stories – Marie, Zebrowski, Zint"

Exponate der Ausstellung "Kiezromantik und Urban Stories – Marie, Zebrowski, Zint"

Nissis Kunstkantine

Kunstgalerie & Eventlocation
Am Dalmannkai 6
20457 Hamburg (HafenCity)

Mo – Sa 11:30 – 16:30 Uhr
Und nach Vereinbarung

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