Liebe Freundinnen und Freunde der Kunstkantine, liebe Gäste,
willkommen im
Bernsteinzimmer der HafenCity!
Mein Name ist Lüdecke, Thomas Lüdecke, ich vertrete den Keynote-Speaker der Kunstkantine Bernd Roloff und darf Euch heute auf das Herzlichste begrüßen, zur 85. Vernissage in Nissis Kunstkantine seit ihrer Eröffnung im März 2013.
Zu meiner Rechten die Schützerin der guten Kunst, Schild und Schwert des guten Geschmacks, die Galeriefachangestellte Betty.
Ja, meine Damen und Herren, die heutige Vernissage hat den Titel
GANZ N´ROSA!
Ist also angelehnt, aus welchen Gründen auch immer, an den Namen der Rockband Guns N` Roses:
Die beiden Pistolen deuten an, dass wir diesmal zwei Künstler ausstellen, und zwar Markus Blazaizak und Wolfgang Jung.
Wolfgang Jung ist erblindet. Ein Maler, der nichts sehen kann.
Markus Blazaizak ist ertaubt. Ein Maler, der nichts hören kann.
Bernd Roloff, unser Keynote-Speaker, hatte einen Schlaganfall und kann keine Laudatio halten. Wenigstens stammt dieser Text von ihm.
In der Summe haben wir hervorragende Voraussetzungen für das Gelingen dieser Ausstellung.
Jetzt erst recht, meine Damen und Herren!
Eine Galerie mit 10 Jahren und 85 Ausstellungen kann nur durch einen Meteoriten gestoppt werden. Eine abgestürzte Mondsonde Luna-25 ignorieren wir.
Schon das Logo sah Scheiße aus:
Offenbar veranlasste der Ukraine-Krieg ein Bedürfnis nach Verniedlichung. 500.000 Mann sind gefallen, da machen wir doch mal was mit Kulleraugen und Kopfhörer. Ein Logo für Loser! Wir werden es alle nicht mehr erleben, dass mit Russland ein normaler Umgang gepflegt wird.
Tatsächlich auf dem Mond gelandet ist die indische Sonde Chandrayaan 3. Das bedeutet Mondwagen.
Typisch indisch, das Logo. Es wird auf Bewährtes zurückgegriffen, dass ist günstiger. Tatsächlich sieht die Rakete völlig anders aus. Aber von den Merchandising-Artikeln von dem alten Spaceshuttle war noch was da, das kann man doch gut gebrauchen!
Aus der Brainstormabteilung der Kunstkantine erhielten wir die Nachricht, dass das Gemälde „Circles 1“ von Wolfgang Jung definitiv gehängt wird. Wie oft hatten wir das Problem, dass wir in der Laudatio auf ein Gemälde eingegangen sind, das dann doch nicht zur Ausstellung eingeliefert wurde. Da muss man sich behelfen. Statt einer Bildbesprechung greift man zurück auf Ausführungen im Allgemeinen und erinnert das Göttliche und die Unendlichkeit.
Nun aber zu „Circles 1“.
Was ist das nun für ein Bild? Es ist nicht abstrakt, sondern figurativ. Auf ihm sind verschiedene Ausformungen und Interaktionen der geometrischen Figur des Kreises abgebildet. Es ist ein ganz enormes Bild, wenn man darin eine berühmte Kunstströmung wiedererkennt. Eine der großen Ideologien, die Manifeste produziert, Zusammenkünfte initiiert und Utopien postuliert.
Na, Vorschläge?
Surrealismus, Expressionismus, Kubismus, Dadaismus oder was ganz Anderes?
Ich beschreibe mal: Charakteristisch ist ein einfaches, geometrisches Formenvokabular. Wir haben hier keine menschlichen Formen, Tiere, Landschaften oder Gegenstände. Wir haben Kreise.
Der Begriff für diese Art von Kunst ist 1913 zum ersten Mal aufgetaucht. Die Hauptvertreter waren Künstlerinnen und Künstler der russischen Avantgarde. Skandalwerk von Malewitsch: Ein einfaches schwarzes Quadrat, quasi als Mutter aller Kunstwerke, 1915 gemalt.
Die Kunstrichtung, in die das Werk von Wolfgang gehört, ist der Konstruktivismus. Wie ein wärmender Umhang kann sich Wolfgang dem Begriff bedienen. Wikipedia führt allein 46 berühmte Maler auf, die dem Konstruktivismus zuzurechnen sind.
Und es gibt u.a. 12 Sammlungen für Konstruktivismus, darunter das Haus Konstruktiv in Zürich, das schon so heißt, wie die Kunstrichtung und in dem führende Vertreter in der ständigen Sammlung zu sehen sind.
Da haben wir sie, die Kreise, im Haus Konstruktiv in Zürich. Künstler Leon Polk Smith, gestorben mit 90 Jahren 1993.
Warum ist es schön, eingeordnet zu werden? Was ist vielleicht das stärkste Gefühl in uns? Ohne dieses Gefühl fühlen wir uns einsam. Mit dem Gefühl ergibt sich eine gewisse Wärme. Unser Ego verschafft uns dieses Gefühl. Wir sind AfD-Wähler, Porsche-Fahrer, Veganer, Hamburger usw.
Es ist das Gefühl der Zugehörigkeit. Wo ist denn deine Herde? Wolfgang hat sich mit seinem Gemälde die Herde der Konstruktivisten ausgesucht. Es ist eine gute Herde. Autoaufkleber gibt es noch nicht, das ist eine kommende künstlerische Aufgabe.
Kreise im bunten Neo-Vintage-Look in einer Used-Anmutung. Das können wir gebrauchen.
Hier das Werk „Circles II“ von Wolfgang:
Ich plädiere dafür, dass das Circles-Thema von Wolfgang fortgesetzt wird. Ein Künstler wird selten durch Abwechslung berühmt, sondern oft durch Repetition.
Picasso hat beispielsweise 50 Porträts von Sylvette David geschaffen, Gerhard Richters Schwarzbrot, so für 5 Mio., sind die Bilder von Kerzen, von denen er zahllose gemalt hat. Und bei Warhol ist die Repetition ein Stilmittel.
Also Wolfgang, weiter mit Kreisen. Esoterisch steht der Kreis für Einheit, das Göttliche und Unendlichkeit. Da lässt sich Viel draus machen.
Zu welcher Herde Markus Blazaizak gehört, lassen wir mal offen. Vielleicht ist es doch eher seine eigene Herde. Jedenfalls hat er ein beeindruckendes Porträt eingeliefert.
Porträts werden nach dem wiedergegebenen Ausschnitt klassifiziert. Bei diesem Porträt handelt es sich um ein sog. Kopfbild. Er ist dargestellt mit dem Hals, ohne jeglichen Teil des Rumpfes. Das Gemälde hat das Talent eines Testimonials, einer Marke. Es ist der Anti-Christ zu einem der schönsten Selbstporträts der Kunstgeschichte.
Na, meine Damen und Herren, wer ist das?
Das ist William Turner im Selbstporträt im zarten Alter von 24 Jahren. Das Gemälde, gemalt 1799, ist sensationell. Aus der Dunkelheit steigt eine Lichtgestalt empor. Einer der ganz Großen. Er hinterließ tatsächlich 19.000 Werke und konnte von seinen Künsten prima leben.
Als Brückenstück zwischen Markus und Turner fällt uns Francis Bacon ein, der der Sonnenkönig der Finsternis genannt wird:
Hier haben wir ein 1969 gemaltes Selbstporträt von Bacon mit den typischen destruktiven Verschwurbelungen. Das ein Bild auf den ersten Blick hässlich ist, ist niemals ein Hindernis, es trotzdem lieb zu haben. Hängen Sie sich einmal einen Francis Bacon übers Bett. Nach 3 Wochen stellt sich eine Beziehung zum Werk ein, nach 6 Wochen finden Sie, dass es dahin gehört.
Die Kunst kommt hervor, so ist es auch mit dem Porträt von Markus. Ich empfehle auch hier den Platz über dem Bett. Die Grimmigkeit des Ausdrucks kann man auch so aufnehmen, dass ein Beschützer eingezogen ist. Wann sind wir zerbrechlicher, als im Schlaf? Und mit vollen Lippen werden wir wachgeküsst.
Meine Damen und Herren, dies war ein von Subjektivität geprägter Vortrag. Distanzlos wurde eine Herde für Wolfgang gesucht. Konstruktivisten aller Länder vereinigt euch. Begreift es als Vorschlag.
Bei Markus haben wir den Platz über dem Bett als liebevollen Aufhängeort gefunden. Was sagt ihr dazu?
Die Bilder von Markus und Wolfgang sind noch bis zum 28. September in der Kunstkantine zu sehen.
Jetzt wünsche ich viel Spaß an diesem Abend. Vielen Dank fürs Zuhören!
Text: Bernd Roloff
Vortrag: Thomas Lüdecke und Betty Köhler
Aus Datenschutzgründen werden einige der gezeigten Bilder nicht veröffentlicht. Die Setzerin