# STADT AM STROM
Einladung
Rückseite
Die Formatierungen der Laudatios werden derzeit überarbeitet. Vielen Dank für Ihr Verständnis.
Laudatio
Laudatio Manfred Besser, Nissis Kunstkantine, 08.09.2016
Liebe Freundinnen und Freunde der Kunstkantine,
guten Abend. Willkommen hier bei uns Ihr Lieben, im Bernsteinzimmer der HafenCity. Mein Name ist Bernd Roloff, ich bin der Keynote – Speaker der Kunstkantine und darf Euch auf das Herzlichste begrüßen zur 24. Vernissage von Nissis Kunstkantine seit ihrer Eröffnung im März 2013.
Die heutige Vernissage gilt den Werken von Manfred Besser. Lieben Dank, lieber Manfred, dass wir Dich ausstellen dürfen. Du passt mit Deinen Werken perfekt in das Habitat der Kunstkantine. Nissis Kunstkantine stellt vorwiegend norddeutsche Künstler aus, und zwar möglichst solche, deren Werk auf bestimmte Weise ambitioniert ist. Also in Technik, Sujet oder überhaupt in der Machart etwas Besonderes ist.
Manfreds Ausstellung steht unter dem Titel
„Stadt am Strom“.
Ich finde diesen Titel wunderbar passend. Wenn wir hier in der Kantine aus dem Fenster schauen, sehen wir das Kraftwerk von Vattenfall. Das ist hier in Hamburg die dominierende Stromfirma. Die Kantine liegt hier also direkt am Strom.
Daher kommt auch der Titel der Ausstellung „Stadt am Strom“. Stimmt das wirklich?
99% von Euch, liebe Gäste, hätten jetzt den Titel der Ausstellung anders interpretiert, nämlich mit Hamburg als Stadt am Strom Elbe. Und das ist ja auch evident angesichts der Motive, die hier die Wände bekleiden. Trotzdem, immer dran denken, im Bereich der modernen Kunst hat der Betrachter die Deutungshoheit und kann seine Interpretation und Assoziation in das Werk hinein interpretieren. Jeder Rezipient hat sein eigenes Verständnis und erst durch Rezeption wird das Werk zu Kunst.
In den nun folgenden Minuten werde ich ausschweifend darüber erzählen, was ich mit den Werken von Manfred assoziiere. Mein Gespräch mit dem Künstler war leider nur sehr kurz, was meine Deutungshoheit größer und meine Assoziationen umfänglicher macht. Ich schöpfe sozusagen nicht nur aus dem Strom, sondern geradezu aus dem Meer aller Möglichkeiten. Am Dienstag hatten wir hier noch „Meeres-Talk“ der Deutschen Meeresstiftung mit Professor Dieter Hanelt zum Thema „Algen – Multitalente aus dem Meer“.
Begebt Euch heute aber mit mir in das Mare Serinitatis, zu Deutsch das Meer der Heiterkeit und folgt zunächst meinen lichtvollen Ausführungen über das Werk von Manfred Besser.
Noch besser ist es, wenn Ihr Euch im Anschluss Eure eigenen Assoziationen zum Werk von Manfred zusammenschraubt. Sollte das nicht gelingen, dann lasst Euch das nicht anmerken. Der Kunstkenner ohne Assoziationen stellt sich vor das Werk, legt den Kopf ein wenig auf die Seite und sagt zum Beispiel: „Genialer Strich, sowas macht ihm keiner nach!“
Das Eigenartige ist jetzt, dass ich genau das mit dem genialen Strich jetzt sagen müsste. In der Einladung hatte ich geschrieben:
„Ein kräftiger Strich für das Figurative und eine Farbkomposition in strahlender Leuchtkraft erzeugen das für Besser typische Spannungsfeld aus Abstraktion und Realismus“.
Ich finde diese Beschreibung passt besonders gut zu den Hafenkante-Motiven, oder zum Beispiel zu dem Bild „Speicher in Bremen“. Erlaubt mir jetzt noch weiter zu bohren, hinsichtlich der Frage, warum die Bilder von Manfred so sind wie sie sind. Ihr merkt schon, der Keynote-Speaker kommt jetzt mit seiner eigenen, für alle sonst Anwesenden unverbindlichen, Sichtweise heraus.
Der Hafen war langjährig Manfreds Arbeitsstelle und er dementsprechend permanent umgeben von den Akzente setzenden Strukturen dieses Arbeitsumfeldes. Gemeint sind Brücken, Träger, Kräne und was sonst noch Strukturen setzt. Manfred gibt diesen Strukturen mit grobem Strich wieder, akzentuiert mit brillanten Farben. Wenn ich mich frage, wie ich persönlich meine Arbeitsumgebung wahrnehme, so geschieht dies exakt in der Weise wie Manfred malt, und ich behaupte – bei aller Unverbindlichkeit – dass es nicht nur mir so geht. Ich sehe mir ja nun nicht mit Muße meine schwarzen Aktenschränke an und bewundere die Spiegelung der Sonne, die durch die Jalousien scheint auf den Türen. Der Aktenschrank ist ein schwarzer Klotz mit profanem Inhalt, linker Schrank Lieferantenname bis A-F, im nächsten Schrank geht es weiter mit den Lieferanten, im Weiteren laufen die Strukturen meiner Arbeitsumgebung mit weiteren, nur in Kuben wahrnehmbaren Blechverwahrräumen für Buchhaltung und sonstiges langweiliges Zeug aus.
Mein Geschäft ist in Hamburg – Niendorf ansässig, jeden Arbeitstag geht es ins Kontor. Das Quartier ist vertraut, nichts wird mit Muße betrachtet.
Da ist Edeka in Gelb, die Tankstelle in Orange, und der bekannte Affenfelsen in der Paul-Sorge-Straße, das ist so eine Art Wohnsilo, imponiert je nach Regenwetterlage in Grau bis Anthrazit. Montagfrüh, wir sind in Hektik, die nächste Struktur, die übliche Autoschlange vor dem Entsorgungshof. Die Anti-Messis haben den Keller aufgeräumt und wollen sich von Überflüssigem befreien. Das sind nicht die Kunden vom Trödeltrupp von RTL, bei denen in der Garage Unvergängliches und Unverkäufliches steht.
Ach, und dann ist neben dem Entsorgungshof da noch in Blau der Plaza-Baumarkt, akzentuiert von einer vorgeschobenen grünen Struktur, das sind die rausgeschobenen Hortensien aus dem Blumenprogramm. Die müssen diese Woche weg, weil sie sonst überfällig sind. Davor, vor der grünen Struktur, ist sogar noch eine kleine beige Struktur zu erkennen, das sind zwei Rentnerpaare, die über die Preise nörgeln.
Jetzt komme ich auf den Punkt:
Manfred Besser bildet für mich das Seh-Erlebnis des Hafens als Arbeitsumgebung in glaubwürdiger, authentischer Weise ab. Wer als Tourist oder Spaziergänger mit Muße versehen in den Hafen geht, hätte eine völlig andere Wahrnehmung, und würde diese Wahrnehmung bildlich anders wiedergeben.
Wo auf den Bildern von Manfred ist das Kopfsteinpflaster, die Nieten, die die Brücken zusammenhalten, die austarierte Perspektive, überhaupt die figurative Ausarbeitung. Kein Fähnchen im Wind, die daheimbleibende Deern küsst nicht den in See stechenden Matrosen auf der Landungsbrücke. Den letzten richtigen Matrosen mit blauem Käppi und Bommeln erinnere ich ohnehin nur auf der Verpackung von Ahoi – Brause. In Hamburg-Niendorf liegt die Stadt bekanntermaßen nicht mehr so dicht am Strom.
Manfred Besser überzeugt mich deshalb, weil seine Hafenmotive Erzeugnisse ästhetischer Vernunft sind. In ihnen ist nichts Romantisierendes oder zynisches, weder Positives, noch Negatives. Sie beziehen ihren Eigenwert aus der Wiedergabe der Sinneswelt von jemandem, der tagtäglich, ständig, mit einem Umfeld befasst ist, im Kontrast zu Demjenigen, der ein Umfeld nur sporadisch betritt, und so mit Muße und Interesse an Einzelheiten kleben bleibt.
Meine Damen und Herren, das moderne Kunstwerk ist offen für Ihre Assoziationen. Denkt euch den Ahoi-Brause-Matrosen gern ins Bild hinein. Raum für Assoziationen lassen die Bilder von Manfred nun wirklich genug. Überhaupt sollte man sich auch seine eigene Arbeitsumgebung noch einmal genauer ansehen. Wir erinnern uns an meinen Plaza-Baumarkt. Die blaue Struktur. Davor die grüne Struktur, das ist der Blumenblock. Was sind das für Blumen? Das Bild der schönen Hortensie steigt in mir auf. Wirkt alles gleich viel freundlicher.
Jeder Hamburger hat sein eigenes Verhältnis zum Hafen, gegründet auf Episoden, Erlebnissen, geschäftlichen und persönlichen Verbindungen, oder man hat einfach nur ein touristisches Bild von Kränen, Schiffen und Wasser im Kopf. Meine persönliche Beziehung zum Hafen ist eine existentielle. Ohne den Hafen hätte es mich nicht gegeben, weil mein Vater den 2. Weltkrieg nicht überlebt hätte. Meine Großeltern waren bitterarm und waren froh, meinen Vater als Lehrjungen auf der Stülcken-Werft untergebracht zu haben. Mein Vater lernte dort Schlosser. Als der Krieg ausbrach, kam mein Vater auf die grandiose Idee, sich freiwillig zur Wehrmacht zu melden. Nationalsozialist war er nicht, aber Patriot, und in jungen Jahren sieht man nicht die Gefahren, sondern sucht das Abenteuer. Dementsprechend wollte er auch zu den „Pionieren“. Gemeint waren Sturm- und Infanteriepioniere. Da liefert man entweder Heldentaten ab oder wird als erster erschossen.
Die Lehrherren und Vorgesetzten meines Vaters erkannten die Leichtsinnigkeit des jungen Kerls und stellten ihn unabkömmlich. Das konnte die Stülcken-Werft, denn sie war in die Militärmaschine des Nationalsozialismus fest eingebunden. Man baute U-Boote und Kriegsschiffe, und die Kriegsmarine übernahm sogar Investitionskosten der Werft. Mein Vater wurde in seinem Leichtsinn also blockiert, und als er später doch Soldat wurde, landete er auf einem verhältnismäßig sicheren Posten. Was wäre gewesen, hätte er nicht im Hafen und nicht auf der Stülcken-Werft gelernt? Wahrscheinlich wäre er im Krieg umgekommen, sicher hätte er aber meine Mutter nicht kennengelernt, denn die Frontpost lediger Damen an die Truppe hätte ihn bei den Pionieren nicht erreicht.
Die Stülcken-Werft gibt es heute nicht mehr. Der Großteil ihres Geländes wird heute von den Musicals „König der Löwen“ und „Das Wunder von Bern“ genutzt. Der Hafen ist nie stehen geblieben, er ist ein Ort des Wandels. Es gab Krisen, aber auch große Wandlungsfähigkeit. Letzten Endes ist die Hafen City auch ein Beleg der Wandlungsfähigkeit des Hafens. In dem Bereich der Hafen City fand früher der Stück- und Schüttgutumschlag statt. Diese Art des Seetransports verlor mit der Container-Wirtschaft mehr und mehr an Bedeutung, und auf dem Gelände der Hafen City befand sich mehr oder weniger eine Industriebrache. Für die Container-Wirtschaft war das Gelände ungeeignet, insofern ist durch die Wohn- und Bürobebauung dem Hafen nichts „weggenommen“ worden. Die Irrationalität der Bewahrer von Allemmöglichem wurde dadurch bedient, dass auf dem sogenannten Kaiserspeicher die Elbphilharmonie draufgebaut wurde. Für den Fall, dass jemand glaubt, dass der Kaiserspeicher irgendetwas Bewahrenswertes war, halte ich hier mal ein Foto hoch.
Das Ding war nichts weiter als ein hässlicher Klotz. Im Übrigen war er Anfang der Sechziger gebaut worden und Anfang der Siebziger hatte er wegen der aufkommenden Container-Wirtschaft immer weniger Ausnutzung. Anstatt das Ding abzureißen und für die Elbphilharmonie einen Neubau hinzustellen, kam man auf die grandiose Idee, die Elbphilharmonie auf den mittlerweile marode gewordenen Kaiserspeicher drauf zu basteln. Huch, alles wird zehnmal so teuer. Andererseits ist das Ding ja nun bald fertig. Ab der Eröffnung der Elbphilharmonie wird sich die Kunstkantine an die Elbphilharmonie anlehnen mit einem „before and after“ – Opernprogramm. Wie wär es mit einem gegrillten Garnelenspieß und einem Glas Weißwein vor dem Konzert, oder einem Bierchen und einer gefüllten Brezel danach.
Die Kunstkantine liegt auf dem Fußweg zwischen U-Bahnhaltestelle und Elbphilharmonie. Wir sehen der Parkraumknappheit im Bereich der Elbphilharmonie mit Gelassenheit entgegen.
So, meine Damen und Herren, getreu dem protestantischen Arbeitsethos, Klammer auf: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, Klammer zu, haben wir uns eben durch die Hardware der Ausstellung durchgearbeitet, nun folgt das Vergnügen. Das Werk von Manfred ist nicht nur vom Seherlebnis her kontrastreich. Bei Durchsicht seiner Werke fiel mir das Gemälde „Striptease“ besonders auf. Dieses Spielerische und Verführerische, und vor Allem aber die Leichtigkeit, die dieser Frauenakt ausdrückt, ist beeindruckend. Gleichzeitig hat es aber auch etwas Subtiles und in positiver Weise Hintergründiges an sich.
Euer Keynote-Speaker kürt dieses Bild hiermit zum Meisterwerk, das den Vergleich mit anderen Meisterwerken nicht zu scheuen braucht. Vergleiche können Gemeinsamkeiten ergeben oder aber Kontraste. Vergleichen wir einmal den Frauenakt von Manfred mit einem der berühmtesten Bilder der Hamburger Kunsthalle. Gemeint ist die „Madonna“ von Edvard Munch. Ich hab das jetzt hier mal auf das gleiche Format gebracht. Links der Munch, rechts der Besser.
Ist dieser Vergleich nicht hinreißend?
Links das Drama, rechts die Komödie.
Links der Dämon, rechts der Engel.
Links Dominanz, rechts das Spielerische.
Links lustvoll, rechts kokett.
Links „The Walking Dead“, rechts Woody Allen.
Die Pose ist gespiegelt, die Körbchengröße gleich.
Ich könnte noch abendfüllend Parallelen und Kontraste definieren, eins ist aber klar. Beide Werke strahlen Meisterschaft aus. Edvard Munch muss ich nicht groß vorstellen. Manfred Besser vielen von Euch auch nicht. Manfred ist HfBK Absolvent und Experte auch für Kunstmaterialien. Er betätigt sich künstlerisch seit Jahrzehnten. Mit dem Erwerb eines seiner Werke kann man keinen Fehler machen. Nissis Kunstkantine zeigt die Ausstellung „Stadt am Strom“ bis zum 12. Oktober. Wer also heute Abend noch keinem spontanen Kaufimpuls folgen kann, kann die Fährte wieder aufnehmen.
Ansprechpartner für den Erwerb der hier gezeigten Gemälde ist während der Ausstellung meine Frau Nissi, die Namensgeberin der Kunstkantine.
Unsere Kunstkantine empfiehlt sich übrigens auch als Event-Location, für Feiern, Geburtstage und, meine Damen und Herren, wir bewegen uns deutlich in der zweiten Jahreshälfte, als Location für Ihre Weihnachtsfeier.
Der heutige Abend gilt aber den Werken von Manfred Besser. Ich bin mit meinen Ausführungen zum Schluss gekommen. Jetzt spricht die Kunst für sich, ich bin mir ganz sicher, dass Euch die Bilder von Manfred etwas sagen können, vom Hafen, von Hamburg und von unserem Künstler selbst.
Ich bedanke mich fürs Zuhören, habt einen schönen Abend und viel Vergnügen mit der Kunst von Manfred Besser. Vielen Dank!
Bernd Roloff