Liebe Freundinnen und Freunde der Kunstkantine, liebe Gäste, willkommen im Bernsteinzimmer der HafenCity. Mein Name ist Bernd Roloff, ich bin der Keynote – Speaker der Kunstkantine und darf Euch heute auf das Herzlichste begrüßen zur 35. Vernissage von Nissis Kunstkantine seit ihrer Eröffnung im März 2013. Ich werde heute wieder assistiert von meiner Assistentin Betty, die Schild und Schwert unseres Kunstbetriebes ist. Diese Einleitung werden unsere Stammgäste schon kennen. Ich sehe keinen Grund, sie zu ändern. Johnny Cash eröffnete tausende seiner Konzerte mit dem Spruch: „Hello, I am Johnny Cash.“ Kann ja sein, dass man im falschen Konzert ist. Deswegen ist es gut, wenn man sich vorstellt. Also, wir sind hier in der Kunstkantine und nun ist Showtime. Die Showtime beginnt heute mit einem Wort aus der Politik. Ich darf euch die Schirmherrin der Veranstaltung vorstellen. Catherine Grote Catherine ich würde mich freuen, wenn du ein paar Worte zu der heutigen Veranstaltung sagen könntest. Danach übernehme ich dann wieder. Schönen Dank liebe Catherine für diese Einleitung. Unser Kontakt zur Hamburger Exekutive bestand ja bisher in 4 Verfahren vor den Verwaltungsgerichten und den Strafgerichten wegen Aufstellens unserer Speisekarte auf dem Gehweg. Heute sage ich nichts mehr dazu, sonst gehen mir mit für spätere Keynotes noch die Anekdoten aus. Nun also wieder zur Ausstellung ! Es ist zwar schon die 35. Ausstellung der Kunstkantine, und trotzdem: Es ist wieder einmal eine Premiere. Wir hatten bisher erst eine Gruppenausstellung. Diese lief unter dem Thema „Elbphilharmonie“, war also einem bestimmten Motiv zugeordnet, aber eine Gruppenausstellung, in der einzelne Künstler ihre Werke unter einer nicht gegenständlichen Überschrift zeigen, hatten wir noch nicht. Die Ausstellung gilt den Werken von Esther Ravens, Manuel Llobera-Capella, Nikolai Sietz, Ute Ganswind und Ronja Kruckenberg und steht unter dem Motto Kunst in Aktion. Die Künstler sind vereint unter dem Label „Atelier Freistil“, einer Kooperation von Leben mit Behinderung Hamburg und der Elbe-Werkstätten GmbH. Schönen Dank erstmal an alle, die diese Ausstellung ermöglicht haben, vor allem an Frau Bettina Grevel, sie ist der Boss vom Atelier und hat die Ausstellung kuratiert. Schönen Gruß noch kurz an die abgesprungenen Sponsoren. Im Winter sollt ihr kalte Hände haben, denn eure Taschen waren zugenäht. So, jetzt aber: Showtime! Wollen wir mal sehen, in welchem Kontext die hier gezeigten Werke stehen und welcher Assoziationsreichtum sich mit ihnen erschließen lässt. In der Hamburger Kunsthalle hängt das Werk von Edouard Manet mit dem Titel „Nana“, gemalt 1877. Das Bild wurde 1924 von der Hamburger Kunsthalle erworben. Zu dem Zeitpunkt, als es angefertigt wurde, galt es als zu freizügig, um in Museen oder Ausstellungen gezeigt zu werden. Eine Boudoir-Szene: Nana mit nackten Armen und entblößten Beinen, die aus dem Unterrock hervorgucken. Sie schaut kokett, die Puderquaste übers Dekolleté schwingend. Insgesamt war es seinerzeit zu frivol, um es in öffentlichen Sammlungen zu zeigen. Dann haben wir da rechts einen Herrn, der ungeduldig dem Prozedere zuschaut. Dieser frivole Kontext erschließt sich uns heute nicht mehr. Sieht eher aus wie eine „Aufbruch-Szene“. Er ist natürlich mit Zylinder und Frack schon fertig und sie ist noch am Pudern. Die Uhr läuft, die Kutsche wartet und er hat Hunger. Die Übersetzung des Bildinhaltes in die naive Malerei finden wir hier in der Ausstellung in diesem Bild. Es stammt von Manuel Llobera-Capella und hat den Titel „Edouards Nana“. Wir sehen hier die für die naive Malerei typischen leuchtenden, antinaturalistischen Farben. Eine besondere Dreidimensionalität oder Perspektive wird nicht angestrebt. Gerade die Simplifizierung ist das Prägende. Die Blütezeit der westeuropäischen naiven Malerei, war die Zeit von 1900 bis 1930. Insofern sind die Werke von Manuel also Neoklassiker. Ich habe in den Werken einer der berühmtesten naiven Künstler aus dieser Zeit ein Werk gefunden, dass die Szene fortführt. Kennt ihr die Werbung von Snickers? Du bist nicht Du, wenn du hungrig bist.
Während Nana sich pudert, wird er immer hungriger und irgendwann kommt ihm die Impulskontrolle abhanden und er flippt dann schließlich aus.
Das Werk stammt von einem der wichtigsten Künstler der naiven Malerei, nämlich von Camille Bombois. Er gehört zu den ungewöhnlichsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Eine akademische Ausbildung erhielt der Künstler nie. Als jüngstes von sieben Kindern wuchs er auf einem Schleppkahn in Frankreich auf. Er arbeitete als Hütejunge, als Ringkämpfer und Hilfsarbeiter, vor allem in der Nacht, damit er sich tagsüber im Louvre umsehen konnte. Er stellt seine Werke auf dem Schinkenmarkt von Montmartre aus und wird dort entdeckt durch den in Paris lebenden deutschen Kunsthändler Wilhelm Uhde, der schon Picasso und Braque mitentdeckt hatte. Bombois hat dem Werk den Titel „Le maquereau“ gegeben. Wir lernen, dass das Wort „maquereau“ im Französischen eine Doppelbedeutung hat: Zum einen wird damit der Fisch Makrele bezeichnet, „maquereau“ bedeutet aber auch Zuhälter. Charakterlich ist die Makrele ein in Schwärmen jagender Raubfisch. Vielleicht leitet sich das Gleichnis hiervon ab. Vielleicht leitet sich das Gleichnis aber auch von der Vorliebe der zeitgenössischen Kriminellen für gestreifte Anzüge ab. Die Makrele ist ja auch schließlich hübsch gestreift, wie wir in dieser naturalistischen Wiedergabe sehen. Dies also zu dem Werk von Manuel Llobera-Capella. Bei meinem Besuch im Atelier Freistil habe ich gesehen, dass er noch eine sehenswerte Pipeline von Werken am Start hat. Manuels Bilder wirken vollständig, handwerklich abgeschlossen und entsprechend seinem südländischen Provenienz und Temperament in feiner Form romantisierend. Nun wollen wir doch mal sehen, was wir sonst noch an dicken Fischen für diese Ausstellung an Land gezogen haben. Im selben Teich, nämlich dem der naiven Malerei, schwimmt Ronja Kruckenberg. Sonja Kruckenberg ist für Überraschungen gut. Manuels Bilder geben Antworten, Ronja stellt Fragen und es gibt ein für mich besonders inspirierendes Bild von ihr in der Ausstellung, das bereits verkauft ist. Gemeint ist das Werk „Herzensbrüder“. Die zwei Brüder sind augenscheinlich mit dem Kopf zusammengeschmust und glücklich dabei. Wenn aber die Köpfe aneinanderkuscheln, sind das dann nicht eher Brüder im Geiste und nicht mit dem Herzen, also besser das Bild „brothers in mind“, Brüder im Geiste nennen. Und was soll eigentlich dieser Begriff Herzensbrüder, nie gehört, hat die Künstlerin sich diesen Begriff ausgedacht? Überraschung: Der Begriff steht im Duden, wird aber als veraltet bezeichnet. Berühmteste Zeile mit „Herzensbruder“ drin: „So lass‘ dich doch zu Brei zusammendrücken, lieber Herzensbruder Moriz. Willkommen in den böhmischen Wäldern“. Stammt aus Friedrich Schillers „Die Räuber“, 2. Akt. Aha… böhmische Wälder. Jetzt muss ein Baum in das Bild. Platz ist ja genug: So, meine Damen und Herren, wir sind jetzt in den böhmischen Wäldern. Klassische Bildung, Schiller „Die Räuber“, wir können jetzt schon zitieren: „So lass‘ dich doch zu Brei zusammendrücken, lieber Herzensbruder Moriz“ Den Baum auf dem Bild habe ich bei Esther Ravens geklaut. Die hat hier für diese Ausstellung diverse Bilder mit Bäumen am Start. Ich komme gleich zu Esther. Ich bin mit den Herzensbrüdern noch nicht ganz fertig. Was für Herzensbrüder umarmen sich da eigentlich auf dem Bild? Zusammengedrückt werden soll Moriz. Das ist der Moriz Spiegelberg, ein schlimmer Bursche: Er berauscht sich am Morden, Brandschatzen und Plündern. Zusammendrücker ist ein Räuber seiner Truppe, nämlich der Razmann. Die Herzensbrüder sind also im Endeffekt böse, böse Kerle. Merken Sie, wie sich die Anmutung des Bildes ändern kann, wenn man es in den Kontext von Schillers Räubern setzt. Das sind keine Kuscheltypen, sondern Bösewichte. Und merken sie sich unbedingt den Satz: „So lass‘ dich doch zu Brei zusammendrücken, lieber Herzensbruder!“ Mein Glückwunsch an den Käufer: Wenn dich einer lachend fragt, was das Bild für einen Kontext hat, sag doch einfach: Das sind die Herzensbrüder aus den Räubern von Schiller. Die freuen sich gerade darüber, dass sie eine Todesliste aufgestellt haben. Da lachst du dann zuletzt, das verspreche ich dir. Ich setze mit Werken von Esther Ravens fort. Eben hatten wir von ihr einen Baum geklaut. In Ihrer Schlichtheit gefallen mir „Bäume im Mai“ links und „Theater“ rechts.
Genauer gesagt haben wir drei Bilder, die drei Bäume zeigen. Das dritte Werk heißt „Märchenwald“. In künstlerischer Hinsicht benutzt Esther hier das Stilmittel der Repetition. Und damit erschließt sich prinzipiell ein weites Feld in der Kunsttheorie mit schwierigem Lesestoff.
Ich zitiere aus einem Intro für einen Forschungsauftrag des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris:
„Das erste Untersuchungsfeld betrifft die räumlichen Implikationen der Wiederholung. Ebenso wie das Phänomen, dass kleine Einheiten durch Wiederholung den Gesamtaufbau bedingen, stellen architektonische Symmetrie, Modularität und (In)Kommensurabilität stets die Frage nach der Maßregel, die insbesondere für den westlichen Kulturkreis von besonderer Bedeutung ist. Die Dimensionen des Ornamentalen und Dekorativen reichen ihrerseits bis hin zu Problemfeldern der Wahrnehmung und der Psychophysiologie.“
Ja, Ihr Lieben: Das war das erste Untersuchungsfeld – soll ich noch das Zweite und Dritte vortragen und das Ganze noch in den Kontext der Weltentheaters und der Unendlichkeit setzen? Als Keynote-Speaker muss ich ja eine Gratwanderung zwischen Information und Inspiration finden. Also lassen wir das besser mit dem zweiten oder dritten Untersuchungsfeld.
Ich bin in einem Vorort von Hamburg großgeworden. Wir hatten 2 Bilder an der Wand: Einmal Nofretete, einmal glutäugige Zigeunerin.
Deswegen sage es mal ganz einfach: Ein Baum ist gut, zwei Bäume sind besser und aller guten Bäume sind drei. In Gemäldeform gibt es sehr selten Repetitionen. Der erfolgreichste Künstler der Repetition ist Andy Warhol, vor allem finanziell erfolgreich.
Dieses Bild „Triple Elvis“ wurde für 81,9 Mio. Dollar in New York versteigert. Es existieren noch mehrere Varianten von Triple Elvis.
Man kann Esther Ravens nur raten, bei dem Erfolgsmodell „Repetition mal 3“ zu bleiben. Das scheint sich durchzusetzen. Das teuerste Baumbild von Esther kostet heute 260 €, da ist also noch Platz für eine spekulative Wertsteigerung. Greifen Sie zu. Wem drei Bäume noch nicht langen, für den hat Esther noch eine Vierbaum-Symbiose am Start.
So geht es, meine Damen und Herren, das nennt man künstlerische Handschrift. Das Publikum will nicht immer Variation oder, Gott bewahre, Improvisation. Der Baum in Gemäldeform als Repetition. Also bitte, das ist ein Thema. Danke an Esther Ravens, dass sie dieses Thema belegt hat. Auf derselben Linie liegt Ute Ganswind. Z.B. mit ihrer Jahreszeitenserie, von der wir hier „Frühling“, „Sommer“ und „Herbst“ zeigen. Betty, halt mal den Frühling hoch! Es ist so grau draußen.
Ich empfehle dringend, bei dieser Serie zuzugreifen. Je nachdem ob die konservative Erbtante zu Besuch kommt oder der im Geschmack modern veranlagte Raumausstatter, können Sie die Bilder entweder dem Impressionismus zuordnen oder dem klassischen amerikanischen Expressionismus.
Dort, im amerikanischen Expressionismus, liegt Ute Ganswind zwischen Cy Twombly und Jackson Pollock. Hier z.B. das Werk „Waves“, also „Wellen“ von Cy Twombly:
Den Jackson Pollock, den wir nachfolgend zeigen, kennen die Hörer meiner Laudatien schon:
Das ist „Gemälde Nr. 5“ von Jackson Pollock. Wir haben das Gemälde seinerzeit ausgegebenem Anlass mit einer Scheibe Falschen Hasen verglichen. Typisch für Pollock ist die sog. Dripping-Technik, bei der die Farbe vom Pinsel auf die am Boden liegende Leinwand getropft wird. Vielleicht auch eine Anregung für Ute Ganswind, bzw. für das Atelier Freistil, sich hierin einmal zu versuchen. In der Jahreszeiten-Serie vermisse ich den Winter. Vielleicht greift Ute das Thema in der Dripping-Technik auf. Last but not least, meine Damen und Herren, komme ich zu Nikolai Sietz und hier zu dem Werk „Insel“. Während wir bei Esther Ravens eine naturalistische Vier-Baum-Symbiose bewundern konnten, sind für mich auf dem Bild von Nikolai Sietz vier Stilrichtungen der Malerei zu beobachten.
- Geometrische Formen, wie beim Konstruktivismus.
- Naive Darstellungsformen, man beachte die rankende Pflanze am rechten unteren Bildrand und der Baum, der sich durch das Bild zieht
- Surrealismus, man beachte die rote Struktur, die sich an das Gesicht, bzw. die Maske angezapft hat
- Und letztlich ist das Werk über den Titel wohlverstanden auch als Landschaftsbild aufzufassen
Eine wunderbare Projektionsfläche für Ihre Assoziationen. Im besten Sinne ein offenes Kunstwerk, das hoch inspirierend ist. Ja, meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zum mehr kapitalistischen Teil meines Vortrags. Hiernach ist eine Leistung erst dann etwas wert, wenn sie vergütet wird. Unsere Ausstellung bietet ein breites künstlerisches Angebot zu sehr annehmbaren Preisen. Greifen Sie also zu. Ansprechpartnerin für Ankäufe ist in der Zeit der Ausstellung meine Frau Nissi, Initiatorin und Namensgeberin der Kunstkantine. Derzeit ist auch eine Versteigerung in Planung. Wenn sie für den guten Zweck mitbieten wollen, so sprechen Sie doch Nissi gerne an oder melden Sie sich über die Webpräsenz der Kunstkantine oder bei Facebook. Das könnte eine spannende Veranstaltung werden. Johnny Cash, naive Malerei, das Kleid der Makrele, Repetition in der Kunst, der dreifache Elvis, Jackson Pollock und der Falsche Hase, Herzensbrüder bei Schillers Räubern, Konstruktivismus, Surrealismus. In meinem Vortrag habe ich einige Themen umarmt, aber hoffentlich nicht zu Brei zerdrückt. Diese Laudatio kann man übrigens nachlesen auf der Webseite von Nissis Kunstkantine. Mein mündlicher Vortrag ist jetzt zu Ende. Ich bedanke mich fürs Zuhören. Bleibt der Kunstkantine treu und bis bald! Bernd Roloff